“Sebastian
muss lernen, seine Phantasie zu zügeln.”
Jetzt bin ich
Musiker und Content Creator. Ich lebe von meiner Phantasie.
“Du redest
zu viel und bist ein Besserwisser.”
Heute
bezahlen mich Leute, um meine Ratschläge zu hören.
“Sebastian muss lernen, die Meinung anderer zu akzeptieren.” Stand genau so nicht nur einmal auf meinen Zeugnissen. Hätte ich mich an den letzten Ratschlag gehalten, wäre ich wohl niemals Musiker geworden. Als ich diese Entscheidung traf, gab es NIEMANDEN in meinem Umfeld, der gesagt hat: “Das ist toll, mach das!” Im Gegenteil, ich habe NUR Negatives abbekommen. Wäre es besser für mich gewesen, wenn ich mich leichter von den (wohlgemeinten) Meinungen anderer überzeugen lassen hätte?
Mit Mitte Zwanzig habe ich ein Video von Vera F. Birkenbihl gesehen. Dort erklärte sie: Was andere als Schwäche bei jemandem bezeichnen, sind ganz oft die eigentlichen Stärken eines Menschen. Ihr hätte man früher oft gesagt, sie würde viel zu viel Reden. Als dieses Video aufgenommen wurde, war sie die wohl bekannteste Trainerin und Autorin im Bereich der Erwachsenenbildung Deutschlands. Sie verdiente ihr Geld durch das Halten mehrtägiger Seminare und stundenlanger Vorträge. Sie lebte vom Reden.
Das heißt aber nicht, dass man ein Arsch sein muss oder alle seine persönlichen Macken offen zur Schau tragen muss. Kritik hat auch oft ihre Berechtigung.
1 + 1 ist 2. Und so sehr ich mir mit ganz viel Phantasie vorstellen könnte, dass es 7 ist, ist das leider falsch. Unumstößlich.
Andere zu Wort kommen zu
lassen und ihnen zuzuhören, ist mehr als gutes Benehmen, sondern
zeigt Respekt vor dem anderen und man hält sich zudem die
Möglichkeit offen, was Neues oder Interessantes zu erfahren. Und
stets jegliche Kritik abzuschmettern, vermindert die Fähigkeit, sich
weiter zu entwickeln. Man muss dann jeden Fehler erst selbst machen,
um aus ihm eventuell lernen zu können.
Man kann ja auch nicht
alles kennen und wissen, allein deshalb lohnt es sich, der Kritik
oder den Lebensratschlägen anderer seine Aufmerksamkeit zu schenken.
Um dann klug abwägen zu können, was für einen das Beste ist.
Wenn man im Leben immer wieder Kritik für ein und die selbe Sache bekommt, sollte man sich überlegen, welche Charaktereigenschaften diese Kritik auslösen und in welchem Kontext sie sich positiv entfalten könnten.
Ein großes Können im kreativen Umgang mit Zahlen beispielsweise führt bei einem Steuerberater, Bänker oder Buchhalter wohl irgendwann zu einer Anklage. Oder einer Anstellung beim organisierten Verbrechen (und dann irgendwann zu einer Anklage...).
Ein Musiker dagegen, der sich strikt ans “Schema F” hält und seine Songs im Baukastensystem immer wieder nach der gleichen Vorlage zusammenbaut, kann evtl. sogar den einen oder anderen Radiohit generieren, der jedoch wahrscheinlich schnell wieder im ewigen Vergessen landet. (Und ob ein solches Vorgehen – ein so geschaffener „Hit“ – aus künstlerisch/kreativer Sicht als Erfolg verbucht werden kann, ist eine philosophische Frage, die ich hiermit zwar angestoßen habe, aber ungern auf diesen Seiten jetzt nun hier vertiefen möchte.)
Man darf übrigens auch das eigene innere Bedürfnis nicht unterschätzen, seine Charakterzüge und Wesensmerkmale ausleben zu können. Unterdrückung zum Zwecke der Anpassung wäre ein fataler Fehler!
Ich habe z.B. mal geglaubt, dass es klug wäre, mich einzig und allein auf die Musik zu konzentrieren und keines meiner vielen anderen Interessen zu füttern. Wenn es nicht mit Musik zu tun hatte, habe ich es versucht zu ignorieren. „Nur so könne man ein richtig guter Musiker werden!“ Dachte ich...
Das Ende vom Lied: Ich surfte mit Anfang 20 viel im Internet und verplemperte einen großen Teil meiner Zeit mit Videos und Blogs und Webseiten, die mein Hirn mit allerlei interessanten aber doch irgendwie unnützen Informationen fütterten. Ohne zu wissen warum, zog ich mir Polit-Talkshows oder Dokus über die Entstehung der Pyramiden rein. Anstatt zu üben!
Was ich damals nicht wusste: Ich habe ein intellektuelles Bedürfnis. Ob ich will oder nicht! Und da ich diesem Bedürfnis keine Nahrung bot, zog es sich halt all den “Müll” rein, den der YouTube-Algorithmus für mich ausgewählt hatte.
Aus diesem Grund lese ich heute (wieder) regelmäßig Bücher. Bücher, die ich mir selbst ausgesucht habe. Die mich interessieren. Die meinen Geist mit neuen Ideen bereichern. Die mich inspirieren. Oder die mich mit nützlichen Informationen versorgen, um Probleme in oder an meinem Leben zu lösen.
Ich schaue schon lange keine “sinnlosen” Videos mehr - weder auf YouTube, noch sonst irgendwo. Keine Videos, die ich mir nicht speziell ausgesucht habe, sondern Videos mit Themen oder mit Informationen, nach denen ich bewusst Ausschau gehalten habe. Das hat aber nur funktioniert, weil ich dieses Bedürfnis zur Kenntnis genommen habe und mich um seine Erfüllung bemühe.[1]
Zurück zum Thema: Das, was andere einem als “Schwächen” einreden wollen, stellt sich bei genauerer Betrachtung oft als Gabe heraus. Es kommt daher darauf an, seine Lebensweise so zu gestalten, dass diese Gaben so zur Geltung kommen, dass sie sich in eine positive Richtung entfalten können und dass sich dadurch das eigene Leben und die Beziehung zu seinen Mitmenschen insgesamt zum Besseren wendet.
Das geht nicht von heute auf morgen und erfordert viel Übung! Dessen muss man sich bewusst sein. Ich war früher wirklich ein richtiger Klugscheißer und Besserwisser und manchmal auch ein Moralapostel, der anderen erzählt hat, was sie in ihrem Leben so alles falsch machen. Das war meist nicht mal böse gemeint. Ich wollte helfen (und natürlich auch ein bisschen klugscheißen…). Kleiner Hinweis aus persönlicher Erfahrung: NIEMAND will ungefragt Ratschläge hören. Ist leider eine harte Lektion.
Selbst als ich erkannt habe, dass es die Leute tatsächlich eher nervt und manchmal richtig runter zieht, selbst als ich mir vorgenommen habe, nicht immer ungebeten meinen sprichwörtlichen Senf zu allem dazu zu geben und mich nicht mehr in Dinge einzumischen, die mich nichts angehen, hat es Jahre (keine Übertreibung: Jahre!) gedauert, bis ich in der Lage war, einfach mal den Mund zu halten, wenn es angebracht war. Erst zuhören und den anderen verstehen (um dann evtl. auch verstanden zu werden). Und darin bin ich immer noch nicht besonders gut. Aber viel, viel besser schon als vor 10 Jahren.
Und gleichzeitig habe ich eine Möglichkeit gefunden, die vielen Dinge, die mich faszinieren und interessieren, an andere weiterzugeben. An meine Schüler im Gitarrenunterricht zum Beispiel, die mir ganz oft erzählen, wie ihnen diese eine Geschichte über einen berühmten Musiker oder dieser eine Hinweis auf eine Erkenntnis aus der Lernforschung extrem geholfen hat. (So wie du jetzt ja auch freiwillig diesen Text mit meinen Gedanken liest. Danke!)
Die Aufgabe im Leben - so erscheint es mir zumindest - ist es, seine Potentiale zu entfalten, um erfüllt zu leben, ein besserer Mensch zu werden und dabei einen positiven Einfluss auf seine Gemeinschaft zu haben. Klingt vielleicht etwas pathetisch und hochgestochen. Aber ganz ehrlich: Dieser Gedanke macht mich an, treibt mich vorwärts und lässt mich gut fühlen. Was ist mit dir?
"Wir sind hier, um durch Erweiterung unseres Bewusstseins der Welt und unserer selbst zu lernen. Was wir über die Welt lernen sichert unseren Erfolg. Was wir über uns selbst lernen, fördert unsere Entwicklung." (Rene Bobonus)
PS: Da ich immer mal wieder danach gefragt werde, gibt es die Bücher, die ich in den letzten Wochen gelesen und für gut befunden habe. Viel Spaß beim Lesen!
KONZENTRIERT ARBEITEN von Cal Newport
DIE TRAUMJOB-LÜGE von Cal Newport
WIE LERNEN GELINGT von Vera F. Birkenbihl
[1] Um nicht allein auf meine Disziplin und Willenskraft angewiesen zu sein, nutze ich außerdem auch Browser-Erweiterung wie DF Tube (Distraction Free for YouTube™) oder Unhook (Remove YouTube™ Recommended Videos), damit ich nur das Video sehen kann, welches ich sehen will und mir auch keine Video-Vorschläge unterbreitet werden.
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