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10 Gründe, warum du nicht besser wirst auf der Gitarre


Man beißt auf Metallstange
Es ist immer die gleiche Geschichte: Du willst es unbedingt und du bist sicher, dass mehr in dir steckt. Mit jedem neuen Buch oder Online-Kurs versprichst du dir, dass jetzt alles anders werden wird. Ab nun wird richtig geübt, bis die Finger bluten! Koste es, was es wolle! Doch selbst die neue, teure Gitarre hat - nach anfänglich heißer Liebe - nicht dazu geführt, dass du das Instrument länger in den Händen hälst. Geschweige denn besser spielst. Du bist frustriert, weil du seit Jahren einfach nicht weiter kommst. Hier sind 10 Gründe, warum du nicht besser wirst auf der Gitarre.

1. Zuviel Material


Ein paar Minuten Tonleitern wiederholen, dann die Arpeggios geübt. Notenlesen nicht vergessen, dann an der Technik gefeilt. Du weißt gar nicht, wie du Zeit für alles finden sollst. Und gleichzeitig stresst dich der Gedanke, wie viele Fingersätze, Tonarten und Akkorde es noch zu lernen gibt... 

Mein Lehrer hat mal zu mir gesagt: "Die Menschen können nicht kauen, weil sie zuviel abgebissen haben." Und er hat Recht! "Übe alles in allen Tonarten!" hat er auch gesagt. Und das hat mich gestresst und überfordert. Aber nur deshalb, weil ich - während ich die ersten Töne  eines neuen Stückes lernen wollte - schon an die verbleibenden 11 Tonarten gedacht habe, in denen ich das noch spielen können muss. 

Hier muss man wirklich lernen, in Gedanken genau bei der dem einen Ton, bei der einen Übung zu sein, die man gerade macht. Und sich Note für Note konzentriert durcharbeiten. Man darf dabei keinen Zeitdruck spüren. Alles was du heute nicht schaffst, wartet morgen doch noch auf dich. Also wozu die Eile? Interessanterweise verschwand bei mir der Stress in dem Moment, als ich so zu denken anfing. Und seit ich langsamer mache, komme ich schneller voran. Paradox, oder? ;-)

2. Nicht bis "zu Ende" geübt


Von neuen Schülern lasse ich mir immer zuerst etwas vorspielen. Damit ich gleich sehe und höre, woran wir arbeiten sollten. Und regelmäßig erlebe ich das Gleiche: Egal, ob es sich um eine bloße Technikübung oder ein Blues-Solo handelt - kaum jemand kann etwas bis zu Ende spielen! Fehlerfrei erst recht nicht.

Das ist eine schlechte Angewohnheit, die man sich dringend abtrainieren sollte. Es zeigt vor allem, dass die Motivation zwar für die ersten Takte gereicht hat, aber als die erste Hürde aufgetaucht ist, hat man sich etwas anderes gesucht. Das andere Extrem sind Leute, die ein Stück von Anfang bis Ende spielen, aber hunderte (keine Übertreibung!) Fehler drin haben.

Das, was einem Profi vom Amateur unterscheidet, ist unter anderem auch die Hingabe fürs Detail. Die Zeit, die er sich nimmt, um an einer Sache zu arbeiten, bis sie vollkommen ist. Ich rede hier nicht von Perfektionismus - das ist ein anderes Problem. Bei den groben Arbeiten (das Lernen der einzelnen Noten eines Riffs) macht man schnell merkbare Fortschritte. Für Feinheiten muss man halt länger dran sitzen bleiben. 

Das führt uns direkt zum nächsten Punkt...

3. Keine Konsistenz


Ich stelle mir das Gehirn als einen lebenden, wachsenden Organismus vor. Denn das ist es ja auch. Aber die meisten behandeln ihr Gehirn wie einen Computer: Daten rein und speichern. Fertig.

So funktioniert es aber leider nicht. Und erst recht nicht bei einem so hoch komplexen Vorgang wie dem Musik machen. Damit die wabbelige Masse in unserem Kopf etwas langfristig und sicher abspeichert, muss es kontinuierlich, über einen längeren Zeitraum hinweg dazu angeregt werden. Denn dieses "Speichern" ist eigentlich ein Wachsen von Nervenbahnen.

Regelmäßig üben heißt bei mir JEDEN Tag. Ich verspreche dir, wenn du eine Sache jeden Tag richtig übst, fällt sie dir spätestens am dritten Tag schon leichter. Egal um was es sich handelt. Wenn du es schaffst, sieben oder gar 14 Tage an dieser einen Sache dranzubleiben, zwingst du dein Gehirn regelrecht dazu, sich diesem Stimulus anzupassen.

4. Keine Anwendung


Ich konnte mal 12 Fingersätze für maj7#5-Arpeggios und konnte sie sofort mit jedem Finger von jedem Bund aus in jede Richtung abfeuern. Jetzt kann ich - wenn ich Glück habe - vielleicht einen. Mit ein bisschen nachdenken. Was ist passiert?

Die Antwort ist simpel. Die meisten Dinge, die wir nicht gebrauchen, verlernen wir nach einiger Zeit wieder. "Use it or loose it" sagen die Amis. In der Musik, die ich mache, kommen maj7#5-Arpeggios nicht vor. Und deshalb ist folgende Frage so unglaublich wichtig für den Lernerfolg: "Wo und wie werde ich das Gelernte demnächst einsetzen?"

Schlechte Lehrer rechtfertigen ihren Unterricht gern mit einem Satz wie "Das brauchst du irgendwann." Die passende Antwort wäre dann: "Ok, dann lerne ich es, wenn es soweit ist." ;-)
Gute Lehrer zeigen ihren Schülern, wie sie das Gelernte sofort und auf ihre eigene Weise einsetzen können, um Musik zu machen.

5. Zu Schnell


Das hier ist nicht die Stelle, wo ich über den Sinn eines Metronoms philosophiere. Und um Timing geht es hier auch nicht. Es geht darum, dass man beim Lernen von neuen Bewegungsabläufen nur so schnell spielen darf, wie man mitdenken kann. Nur so schnell, dass man dabei ALLE Parameter, die beim Musizieren dazugehören, überblicken kann (rechte Hand, linke Hand, Synchronisation beider Hände, Rhythmus, Timing, Artikulation, etc.).

Es ist natürlich unmöglich, alle Elemente gleichzeitig zu beachten. Aber ich denke, du verstehst, worauf ich hinaus will: Wenn du schneller spielst, als du in der Lage bist, der Geschehen zu verfolgen, kann dein Gehirn nichts lernen. Weil es ja nichts mitbekommt von dem, was du da versuchst!

Wenn die Bewegungsabläufe einmal gespeichert sind, kann man das Tempo natürlich erhöhen.

6. Nichts Neues


Was jetzt kommt, müsste eigentlich von selbst klar sein, aber dennoch scheinen die Meisten nicht so richtig daran zu denken: Wer nur wiederholt, was er schon kann, wird nicht besser. "Ist doch logisch!" höre ich dich jetzt denken. Und nachher spielst du trotzdem wieder die A-Moll Pentatonik in der fünften Lage!

Der Knackpunkt ist: Sobald eine Übung leicht fällt, muss man sie irgendwie so abwandeln, dass sie wieder anspruchsvoll ist. Die meisten versuchen das über die Geschwindigkeit des Metronoms zu lösen. Aber auch das hat seine Grenzen. Man könnte aber beispielsweise auch den Rhythmus verändern (Hast du deine Tonleiter schon mal in punktierten Achteln durchgespielt?). Oder man verändert das Grund-Feeling (Tonleiter statt in Achteln in Swing-Achteln oder als Triolen, Quintolen, Septolen spielen). Oder man beginnt die Übung mit einem Aufschlag statt einem Abschlag, man zupft mit den Fingern statt mit Plektrum, etc., pp...

Oder man übt eben etwas komplett Neues. Was man noch nicht kann.

7. Problemstellen nicht erkennen


Viele, viele Gitarren-Enthusiasten üben mit Feuereifer an einem Problem und merken dabei leider nicht, dass sie die Ursache ihrer Schwierigkeiten ganz woanders liegt.

Ich denke da z.B. an den Gitarristen, der neue Skalen übt, weil er seine Solos langweilig findet. Leider merkt er nicht, das seine Rhythmik und seine Artikulation langweilig sind und großes Potential zur Verbesserung haben.

Oder der Gitarrist, der immer übt und einfach nicht schneller wird, weil seine Handhaltung das auch auch so nicht zulässt.

Jeder von uns hat seine blinden Flecken. Da hilft am besten Feedback von außen. 

Bei solchen Sachen ist ein guter Lehrer natürlich Gold wert. Da muss man ja auch gar nicht ein Jahr lang jede Woche Unterricht nehmen. Wer gern allein arbeiten möchte, könnte auch einen Lehrer einmal dafür bezahlen, dass man ihm eine Stunde lang was vorspielt und er einem alle Probleme sagt und aufschreibt, die ihm aufgefallen sind. Und dann geht man nach Hause und übt genau diese Dinge.

Oder man schickt einem guten Gitarristen ein Video von sich und fragt, ob er es mal bewerten könnte. Oder fragt einen Freund nach seiner Meinung. Selbst Nicht-Musiker haben oftmals unglaubliche Erkenntnisse zu bieten, auf die man selbst nicht gekommen wäre ("Dein Ton tut in den Ohren weh!" oder "Man hört vor lauter Hall eigentlich gar nicht was du spielst.")

Eine andere Methode, blinden Flecken auf die Spur zu kommen, ist es, sich aufzunehmen und mit Abstand kritisch anzuhören. Oder zu kritisch zu analysieren, welche Unterschiede man zwischen sich und seinen Idolen so findet. Aber ganz ehrlich: Der schnellste und beste Weg ist kritisches Feedback von außen. Und damit muss man dringend lernen, klar zu kommen.

8. Keine Zusammenhänge


Um wirklich tief in ein Gebiet einzudringen, es zu meistern und mit dessen Elemente kreativ zu arbeiten braucht es irgendeine Art von übergeordneter Systematik. Das kann zum Beispiel die "anerkannte" Musiktheorie sein, die uns hilft zu verstehen, wie die Chemie zwischen verschiedenen Tönen funktioniert und einem das nötige Wissen liefert, die Vorgehensweise anderer Musiker zu verstehen und anschließend daraus unser eigenes musikalisches Süppchen zu kochen.

Das ist aber nur eine Möglichkeit, über Musik nachzudenken und in ein nutzbares System einzubinden. Gitarren-Götter wie Allan Holdsworth oder Pat Martino haben zum Beispiel ihre ganz eigenen Denkweisen gefunden, sich Musik zu erklären und ihre eigene damit zu machen. Das kannst du auch.

Was aber nicht funktioniert ist, nur in Kästchen auf der Gitarre zu denken und scheinbar wahllose Zahlenreihen auf einer Tabulatur abzulesen. Du brauchst eine Möglichkeit, Wissen einzuordnen und miteinander zu vergleichen. So lernt es sich wesentlich besser und auch schneller.

9. Keine Konzentration


Konzentration ist für Lernen das A und O. Gerade in einem Erwachsenen-Gehirn (ab ca. 25 Jahren) finden Veränderungen (Stichwort: Neuroplastizität) nur dann statt, wenn man mit einem gewissen Fokus bei der Sache ist.

Hier kannst du dir  selbst überlegen, was dich vom Lernen abhält: Das ständig klingelnde Telefon, die überwältigende Müdigkeit, der Stress...

Genauso individuell wie die Ursachen müssen dann auch die Lösungen für die Probleme sein: Flugzeugmodus an, kein Game of Thrones mehr nach 23 Uhr, ehrliche Aussprache mit dem Partner. Was auch immer nötig ist, um aufmerksam und im Moment zu sein und zu bleiben.

Ich konnte mich zum Beispiel viele Jahre nicht richtig konzentrieren, weil ich andere Angelegenheiten - die nichts mit dem Gitarre spielen zu tun hatten - aufgeschoben und nicht erledigt hatte. Mein Geist fand dadurch keine Ruhe und versuchte mich immer an diese Dinge zu erinnern.

Außerdem hatte ich früher mal ein sehr hedonistisches Verhältnis zum Essen. Damals kam ich nicht gleich darauf, dass es nach einem Döner, einer Packung Chips und einem Eis mit der Konzentration nicht mehr so gut bestellt sein wird. Ich wunderte mich, warum ich nicht üben konnte. Wenn ich dann irgendwann mit Üben angefangen hatte, bekam ich bald schon wieder Hunger und das Spiel begann von vorn. Aber das ist viele Jahre (und 30kg mehr auf den Rippen) her.

Erkenntnis: Fehlende Konzentration ist keine Charakterschwäche, sondern es gibt einen Grund dafür. Vielleicht sogar mehrere. Finde und behebe das Problem!

10. Keine Motivation


Jetzt kommt der beste Teil. In meiner Welt - so wie ich sie mir vorstelle -  gibt es keine Faulheit. Und es gibt auch keine fehlende Motivation. Zumindest dann nicht, wenn doch ein Teil von dir unbedingt gut Gitarre spielen will. Warum aber hast du manchmal dann keine Lust?

Für mich gibt es nur eine Erklärung: Du glaubst nicht daran, dass es was bringt zu üben. Du bist frustriert, weil du es schon so lange versuchst und bisher nicht die Ergebnisse bekommen hast, die du dir erhofft hast. Du glaubst, du bist zu alt oder zu doof oder hast kein Talent. Und trotzdem würdest gerne, irgendwie, tief in dir drin...

Wenn du an den Punkten 1-9 arbeitest, bin ich mir sicher, dass mangelnde Motivation für dich kein Problem mehr sein wird. Du musst nur einmal - nur ein einziges Mal - spüren, dass es möglich ist. Und dann dran bleiben!

Folgt man diesem Weg lange genug, dann gelangt man in einen sich beschleunigenden Kreislauf, bei dem das Üben immer leichter und interessanter wird, wodurch man länger üben kann, was die Fähigkeiten steigert, was wiederum das Üben interessanter macht. (Robert Greene) 

 

Kommentare

  1. Sehr gut darüber nachgedacht, sozusagen als philosophischer Gitarrist. Wahrscheinlich stimmen alle deine Punkte, und wenn man sich nur einige zu Herzen nimmt, ohne ins Verbissene zu fallen, dann kommt man tatsächlich weiter. Da sagt einer, der schon mehr als 6 Jahrzehnte hinter sich hat und immer noch auf der Gitarre besser werden will. Aber auch seine Grenzen kennt.

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