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Wie Gitarre üben: Talent oder Wiederholung?

 Wenn ich heute nochmal von Null anfangen müsste…

…und ich hätte jeden Tag nur eine Stunde Zeit zum Üben, würde ich eine halbe Stunde Gitarre üben und eine halbe Stunde Bücher darüber lesen, wie man lernt. Alles, was in den Büchern vorgeschlagen wird, würde ich umsetzen. Und erst wenn sich große, merkliche Veränderungen in meiner Lerngeschwindigkeit und -effektivität einstellen, würde ich beginnen, die Lesezeit zu verkürzen und mehr zu üben.

  • 40min üben, 20min lesen.
  • 45min üben, 15min lesen. 
  • 50min üben und 10min lesen.
Vielleicht sogar irgendwann 55min üben und nur noch 5min lesen. Aber ich würde niemals mit dem Lesen aufhören, solange ich nicht alles zum Thema Lernen gelesen hätte. [Randnotiz: Ich lese wann immer ich kann Bücher zu allen Themen, die mir in irgendeiner Weise helfen können, ein besserer Musiker zu werden.]
Denn wenn man Bücher übers Lernen oder das Gehirn liest, oder auch wenn man Interviews und Biographien berühmter Musiker liest, erfährt man so interessante Dinge wie:
  • Das motorische Gedächtnis braucht durchschnittlich 5-9 fehlerfreie Wiederholungen, um eine neue Bewegung zu programmieren und anschließend fehlerfrei abrufen und ausführen zu können. [1]
  • Rick Beato (Gitarrist und Produzent) verlangt von sich selbst 20 fehlerfreie Wiederholungen, um mit einer neuen Phrase abzuschließen. [2]
  • Klaviervirtuose Vladimir Horrowitz soll dieselbe Phrase 120 Mal fehlerfrei wiederholt haben, bis er endlich das Gefühl hatte, sie wirklich gut spielen zu können. [2]
Aus diesem Wissen resultieren die folgenden Überlegungen und Beobachtungen
  • In meinem ganzen Leben konnte ich bei keinem Schüler während des Unterrichts beobachten, wie er sich Mühe machte, das gerade Gelernte, langsam und sorgfältig einzuüben und auch nur 3 Mal zu wiederholen. Im Gegenteil: Sobald ein Schüler ein Lick oder Riff einigermaßen „hingewürgt“ hat, spielt er es schneller oder versucht gleich, die nächsten Töne zu lernen.
  • Ich persönlich kenne niemanden – keine Freunde und Kollegen, mich mit eingeschlossen – niemanden, der einen Fingersatz, ein Lick oder ein ganzes Stück 20 Mal wiederholt.
  • Bei Proben z.B. – nachdem man einen Song 2-3 durchgespielt hat (egal ob mit oder ohne Fehlern) – hat meist keiner mehr Lust, den Song nochmal zu spielen. Die Luft ist raus, die Konzentration ist weg.

Zeit, dass sich das ändert. Bei mir – und bei dir!

  • Warum unterhalten wir uns so gerne über Talent, Begabung und natürlich Veranlagung, wenn wir nicht mal die Disziplin und Willenskraft aufbringen, etwas 5 (oder 20 oder sogar 120) Mal fehlerfrei zu wiederholen?
  • Vielleicht ist der Unterschied zu mir und meinem Lieblingsgitarristen viel mehr die Anzahl der erfolgreichen Übe-Wiederholungen anstatt gottgegebene Virtuosität?
Ich spiele seit 20 Jahren Gitarre. Seit fast 10 Jahren bin ich Profi-Musiker (was einfach nur heißt, dass ich allein vom Musik machen leben kann und nicht unbedingt etwas über die Qualität dieser Musik aussagen muss…).
Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich erst in den letzten Jahren rausgefunden und wirklich begriffen habe, wie man richtig übt und was sonst noch alles dazugehört, ein richtig guter Musiker zu werden.


Meine Erkenntnisse und Erfahrungen möchte ich in meinem Blog gern mit dir teilen. Ich lerne selbst noch jeden Tag dazu, ich übe jeden Tag und ich versuche jeden Tag, ein bisschen besser zu werden. Daran möchte ich dich teilhaben lassen.
Eigentlich ist das Ganze auch ein bisschen eine eigennützige Geschichte. Ich habe mir überlegt, wie ich das gesammelt Wissen für mich strukturieren kann, um es gezielt umzusetzen. Dazu muss ich es aufschreiben, dachte ich mir. Das Schreiben für andere – was ja fast wie unterrichten ist – sorgt für klares, nachvollziehbares Denken. Oder wie der Gedächtnis-Coach Jim Kwik so gerne sagt: „Wenn du etwas unterrichtest, kannst du es zweimal lernen.“ [3]
Und somit war die Lösung offensichtlich: Ein Blog muss her. Und so haben wir beide etwas davon. 🙂
Fühl dich frei, mir jederzeit zu schreiben. Anregungen, Kritik und Ideen nehme ich mehr als gerne entgegen. Egal, ob du Vorschläge zu einem Thema hast oder mit einer Sache andere Erfahrungen gemacht habt, lass es mich wissen! Nur so können du und ich uns stetig weiter verbessern und dazulernen.
Wenn du etwas lernen willst – studiere es.
Wenn du etwas wissen willst – lies darüber.
Wenn du etwas meistern willst – unterrichte es!
(Yogi Bhanjan)

Anmerkungen:



[1] Mantel, Gerhard: Einfach üben. 185 unübliche Überezepte für Instrumentalisten. 3. Auflage, Mainz 2004, Schott Musik International, Seite 17.
[2] Rick Beato: Music Lesson – How and What To Practice On Your Instrument (https://youtu.be/33rNgjJ7c9Q?t=332)

[3] foundr Podcast: Jim Kwik – Unlock Your Superpower “When you teach something, you get to learn it twice. When you learn with the outcome to teach it to someone, you own that information more.” (https://foundr.com/jim-kwik)


Affe auf Bühne mit Gitarre und Zigarette im Mund

Kommentare

  1. Ja, das sprichst du ein wichtiges Manko aller Hobbieisten an. Üben, üben, üben, bis zum Abwinken. Leider winkt man oft zu schnell ab. Und richtig: auch Zusammenhänge erkennen, ist von großem Vorteil. Jedenfalls habe ich in den letzten Jahren einiges an Harmoniewissen und Akkordik neu gelernt - davor war es nur implizite Erfahrung. Und es tut gut, jenseits der eigenen Vorlieben auf andere Stilrichtungen einen Blick zu werfen.
    Ich habe mir vorgenommen, daran an beidem, Theorie und Praxis, zu arbeiten - ich will auch mit meinen 67 auf dem Buckel noch besser werden. Weil es letztlich auch Spaß macht und einen "jung" hält.

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